von Erich Pauer, Centre Européen d’Études Japonaises d’Alsace (CEEJA)
1 Einleitung
Durchforstet man Bibliografien und Kataloge zu Unternehmern bzw. Unternehmensgeschichten, so findet man unter dem Namen Adolf Reh nur zwei Hinweise: die Unternehmensgeschichten von 1964 bzw. 1989.[1] In beiden Werken wird das 1889 in Berlin gegründete Asphalt- bzw. das spätere Straßenbauunternehmen des Adolf Reh in den Mittelpunkt gestellt. Auf Herkunft, Ausbildung und die Stationen des erfolgreichen Unternehmensgründers Adolf Reh, insbesondere hinsichtlich seiner Tätigkeiten im Bereich des Bergbaus in verschiedenen Ländern, wird aber praktisch nicht eingegangen, ein Manko, dem mit dem vorliegenden Beitrag abgeholfen werden soll. Das Leben des Adolf Reh war vielfältiger und facettenreicher gewesen, als es sich in den vorliegenden Firmengeschichten spiegelt.
2 Theodor Reh, Sohn des „Hofgerichtsadvocaten“
Adolf Reh (Abb. 1) wurde am 14. September 1850 in Darmstadt, der Hauptstadt des Großherzogtums Hessen geboren. Sein Vater, Theodor Reh (1801–1868) war ab 1822 Advokat in Darmstadt, dann viele Jahre Mitglied des Hessischen Landtages, ab 1848 Mitglied der Nationalversammlung in Frankfurt und ab 1850 Mitglied des Reichstags.[2]
Mit seiner ersten Ehefrau hatte Theodor Reh sechs Kinder. Während der Ehe mit seiner zweiten Frau, die er 1846 nach dem Tod der ersten Ehefrau heiratete, wuchs die Familie nochmals um drei Kinder, Alexa (1849), Adolph (1850)[3] und Octavia (1861). Gemeldet war die Familie bis 1867 in Darmstadt am Mathildenplatz 10.[4]
Während die drei älteren Brüder aus der ersten Ehe des Vaters entweder beim Militär oder als Advokaten Karriere machten, schlug Adolf Reh einen anderen Weg ein. Nach dem Gymnasium trat er am 16. Oktober 1865 in die Technische Schule des Herzogtums Hessen in Darmstadt ein. Diese Technische Schule war ein letztlich missglückter Versuch der Umgestaltung bzw. Weiterentwicklung der 1836 eingerichteten Gewerbeschule. Zwar hatte diese frühere Höhere Gewerbeschule 1859 die Einrichtungen einer polytechnischen Schule erhalten, nämlich Fachschulen für „Baukunst“, „Ingenieur-Wissenschaft“, „Technische Chemie“, „Mechanik“ und „Landwirtschaft“,[5] sie behielt aber ihren ursprünglichen Namen bei. Eine entsprechende Umbenennung wurde zunächst von der Politik als „bedenklicher“ Weg abgelehnt, stattdessen kam es 1864 unter Aufgabe des Systems der Fachklassen zu diesem kurzlebigen Experiment namens Technische Schule. Erst 1868, nach einem auf diese Umbenennung zurückzuführenden rapiden Rückgang der Schülerzahl, wird die Ausbildungsstätte dann ihrem Ausbildungsumfang und ‑niveau entsprechend Polytechnikum genannt.
Adolf Reh kam also in einer schwierigen Phase der Schulentwicklung an diese Anstalt. Er besuchte dort von 1865 bis 1867 zunächst die (zweisemestrige) „Untere Allgemeine Classe“, die – entsprechend der weiter verfolgten Ziele der früheren Höheren Gewerbeschule – einen „allgemein vorbereitenden“, und anschließend die (ebenfalls zweisemestrige) „Obere Allgemeine Classe“, die „für den künftigen Beruf specieller ausbildenden“ Charakter besaß.[6]
Während für die „Untere allgemeine Classe“ nur wenige besuchte Lehrveranstaltungen (Darstellende Geometrie, Französische Sprache, Englische Sprache und Religion) im Matrikelbuch verzeichnet sind, die von Adolf Reh durchweg mit „genügend“ abgeschlossen wurden, war das besuchte Spektrum für die „Obere allgemeine Classe“ doch breiter gefächert. Neben Mathematik, Darstellende Geometrie, Physik, Chemie besucht er auch Geschichte und Geographie, Deutsche Sprache, Französische Sprache, Englische Sprache und Freihandzeichnen. Die Ergebnisse seines Studiums waren eher mittelmäßig, mit einer Steigerung in der „Oberen allgemeinen Classe“. Allerdings wird im Abgangszeugnis ausdrücklich eine weitere Lehrveranstaltung „Praktische Arbeiten im chemischen Laboratorium“ aufgeführt. Für diese Lehrveranstaltung wird ihm „sehr großer Fleiß“ bescheinigt und „sehr guter Erfolg“ bei den qualitativ-analytischen Arbeiten hervorgehoben. So scheint hier bereits ein gewisses Interesse am Fach „Chemie“ deutlich zu werden, das auch im weiteren Lebensweg erkennbar bleibt.[7] Eine spezifisch technisch orientierte Ausbildung, wie sie etwa in der „besonderen technischen Classe“ an dieser Technischen Schule mit Fächern wie Mechanik, chemische bzw. mechanische Technologie, Baukunde, Mineralogie, Bodenkunde, oder Maschinenzeichnen angeboten wurde, besaß Adolf Reh damit allerdings nicht.
Sein weiterer Berufsweg scheint bei Abschluss des Studiums noch unklar gewesen zu sein. Im Matrikelbuch ist in der Rubrik „Zukünftiger Beruf“ nur ein „Unbestimmt“ vermerkt.[8] Adolf Reh war also mit dem Abschluss der Technischen Schule nun 17 Jahre alt, besaß zwar allgemeine, aber keine spezifisch technischen Kenntnisse und – er hatte keinen Beruf.
3 Vieille Montagne, Moresnet, Max Braun und Adolf Reh
Über das Leben von Adolf Reh nach Abschluss der Technischen Schule wissen wir kaum etwas. Erst mit dem Beginn seiner Tätigkeit in Japan im Jahr 1873 besitzen wir wieder gesicherte Nachrichten. Was er in den sechs Jahren gemacht hat, können wir nur auf Umwegen, und dabei auch nur andeutungsweise und mittelbar, erschließen.
Es sind Adolf Rehs Verbindungen zu zwei Personen, die nähere Hinweise über diese Jahre geben können: Da ist zum einen seine künftige Frau, mit Namen Liane, und da ist Max Braun, der Vater von Liane. Vielleicht war Max Braun auch der Vermittler für die spätere Tätigkeit von Adolf Reh in Japan. Dazu kann man allerdings nur einige spekulative Anmerkungen machen.
Max Braun (1814–1883), der spätere Schwiegervater von Adolf Reh wurde in Karlsruhe geboren. Er wuchs in einem Elternhaus auf, in dem man sich für die Naturwissenschaften interessierte. Nach dem Gymnasium besuchte er das Polytechnikum in Karlsruhe. Im Gegensatz zu Adolf Reh, der nur eine „Allgemeine Classe“ an der Technischen Schule in Darmstadt absolviert hatte, hatte Max Braun das Fach „Geologie“ studiert.
Nach dem Studium sammelte Max Braun praktische Erfahrungen in verschiedenen Bergwerken in den deutschen Staaten, aber auch in Frankreich, Algerien und Belgien. 1848 fand er dann eine Anstellung im Zink-Unternehmen Societe des Mines de Zinc de la Vieille Montagne. Damit waren seine Wanderjahre beendet. 26 Jahre lang, bis 1874, blieb er in diesem Unternehmen tätig. Während dieser Zeit stieg er bis zum Direktor der Zinkgrube in Altenberg (Vieille Montagne), mit Sitz in Neutral-Moresnet, an der Grenze zwischen Deutschland und Belgien, auf.[9]

Die 1837 gegründete Vieille Montagne erschloß im belgisch-preussischen Grenzraum zahlreiche Gruben zur Förderung von Galmeierz. Dieses wurde in einer Hütte unterhalb des „alten Berges“ zu Zink verarbeitet (Abb. 2). Blütezeit des Unternehmens mit einer Jahresproduktion von rund 135.000 Tonnen war die Mitte des 19. Jahrhunderts. Allerdings ging der Ertrag der Gruben bald zurück und 1884 wurde die Hauptgrube in Kelmis geschlossen, andere Gruben wurden allerdings weiter betrieben.[10]
Wie Adolf Reh in Darmstadt den an der belgisch-preussischen Grenze, im neutralen Moresnet, wohnenden Max Braun kennenlernte, wissen wir nicht. Nur aus einigen Details kann man mögliche Zusammenhänge rekonstruieren. So wird z.B. im (vermutlich 1871 angelegten) Meldebogen der Mutter des Adolf Reh in Darmstadt zur 1849 geborenen Tochter Alexa der Hinweis gegeben: „Lehrerin zu Gent“.[11] So könnte eine Verbindung in den belgischen Raum also durch Adolf Rehs Schwester hergestellt worden sein. Wie es allerdings zu einem konkreten Kontakt zur Vielle Montage bzw. Max Braun kam, bleibt im Dunklen, ebenso wie auch bislang noch jeglicher Nachweis einer Tätigkeit des Adolf Reh bei der Vieille Montagne fehlt.

Max Braun lebte mit seiner Familie (acht Kinder – drei Söhne, fünf Töchter) in der Jansmühle, einem von den Angestellten bewohnten Gebäude auf dem Gelände des Unternehmens (Abb. 3). Neben der Wohnung befanden sich auf dem Gelände auch die Verwaltung des Unternehmens und das Labor. Es wird berichtet, dass in diesem Labor „immer auch einige junge Bergingenieure arbeiteten“ und dass sich auch Adolf Reh einige Zeit dort aufgehalten habe.[12] Vielleicht hat sich sein Talent und sein Interesse für das chemische Arbeiten, das im Abgangszeugnis der Technischen Schule in Darmstadt vermerkt wurde, auf seinen weiteren Berufsweg ausgewirkt und zu einer Tätigkeit in dem Labor der Vieille Montagne geführt.
Ein weiterer Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Adolf Reh und der Vieille Montagne bzw. der Familie Max Braun ist die Tatsache, dass Adolf Reh eine der Töchter von Max Braun, die 1854 geborene vierte Tochter mit Namen Liane später zur Frau nahm. Nicht unwahrscheinlich ist es, dass Adolf Reh während einer Tätigkeit bei der Vieille Montagne die Tochter Liane kennenlernte, die er später heiratete.
Das Unternehmen hatte früh auch enge Beziehungen zu verschiedenen deutschen Zink-Herstellern, insbesondere in Preußen, geknüpft. So wurde Max Braun auch als Gutachter für die Preußische Regierung tätig. In dieser Position soll er für die preußische Regierung Bergingenieure ausgesucht haben, die auf Ersuchen der japanischen Regierung zu Beginn der 1870er-Jahre nach Japan gehen sollten. Vielleicht schlug er auch Adolf Reh für eine solche Tätigkeit in Japan vor.[13]
Vor diesem Hintergrund könnte es zur Entsendung des Adolf Reh, der sich durch seine Tätigkeit bei der Vieille Montage entsprechende Kenntnisse angeeignet haben könnte, als Bergingenieur nach Japan gekommen sein.
4 Adolf Reh in Japan
Die Jahre nach der Meiji-Restauration von 1868, die einen politischen Neuanfang nach der feudalen Herrschaft des Shogunats, der Zentralregierung, darstellt, waren bei näherem Hinsehen nicht so ruhig und vom Aufbruch in eine neue Epoche geprägt, wie dies vereinfacht in vielen Schriften dargestellt wird. Politische Unruhen zeigen, dass keineswegs das ganze Volk hinter der neuen Regierung stand. Die notwendigen wirtschaftlichen Reformen (z.B. Grundsteuer, Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit) führten in vielen Teilen des Landes zu teils gewaltsamen Unruhen und Aufständen. Auch die Industrialisierung, versinnbildlicht durch den Slogan der Regierung „Reiches Land, starke Armee“, verlief keineswegs ohne Schwierigkeiten, auch wenn man in den westlichen Schriften diese Jahre häufig als ein „Wunder“ der raschen japanischen Industrialisierung zeichnet. Fehlplanungen mit dem Resultat rascher Zusammenbrüche von Unternehmen, die bis heute noch sichtbare Industrieruinen hinterließen, waren ebenso an der Tagesordnung wie Proteste gegen die Modernisierung von Produktionsabläufen, gegen Neuerungen im Bereich der Infrastruktur, wie etwa die Anlage von Bahntrassen oder Häfen.
Noch bevor man allerdings seine Gedanken in Richtung auf den Aufbau einer modernen Industrie richtete, musste sich die Regierung zunächst ein stabiles Einkommen bzw. ein entsprechendes Geldsystem schaffen. Neben den entsprechenden Verordnungen für eine Kontrolle des An- bzw. Verkaufs von Gold, Silber und Kupfer, die die Edelmetallverluste durch den zunehmenden Außenhandel und das Überhandnehmen ausländischer Währungen einschränken helfen sollten, und der Einführung des Yen als neue Währungseinheit im Jahr 1871, wurden im Jahr darauf erste Bergbau-Regulative und 1873 ein erstes Bergbaugesetz erlassen, das dem Staat das Bergregal zusicherte.
Aber schon früher, im Jahr der Meiji-Restauration 1868, hatte man begonnen, die verschiedenen Gold- und Silberbergwerke aus dem Besitz der früheren Feudalregierung bzw. auch aus den Händen der früheren Lehensherren unter zentralstaatliche Kontrolle zu bringen. Mangels fehlender Einkommensquellen des jungen Staates sollten die Erträge aus diesen Gold- und Silberbergwerken helfen, den Staatshaushalt zu stützen und das neue Währungssystem zu stabilisieren. Die Steigerung der Produktion in anderen Bereichen, etwa Kohle, Eisen oder Zinn sollten den zunehmenden Import solcher Rohmaterialien zurückdrängen helfen, um auch so den Abfluss von Devisen in Form von Edelmetallen zu verhindern.
Allerdings waren viele der so übernommenen Bergwerke keineswegs in einem Zustand, der dieses Ziel leicht und rasch erreichbar erscheinen ließ. Im Gegenteil, viele dieser Bergwerke arbeiteten mit einem höchst ineffizienten Management-System und waren häufig in einem z.T. katastrophalen technischen Zustand.
Die Modernisierung der verschiedenen Bergwerke nach ausländischen Vorbildern und auch mit Unterstützung fremder Fachleute war unabdinglich. Allerdings verlief auch dieser Prozess keineswegs problemlos. Nicht nur, dass die „Übernahme“ der Bergwerke durch die Regierung zum Teil „Enteignungen“ ähnelte, so lösten die Versuche, das alte und ineffiziente System des Arbeitens mit Subkontraktoren aufzuheben, in diesen Kreisen erheblichen Widerstand aus. An praktisch allen Standorten großer Bergwerke, in Ikuno, Ani, Innai und so auch auf der Insel Sado, erhob sich Widerstand, der zum Teil nur unter Einsatz von Polizei oder Militär gebrochen werden konnte.
Das auf der Insel Sado (Karte 1) im japanischen Meer vor der Küste der Präfektur Niigata gelegene Gold- und Silber-Bergwerk war bereits im Jahre Meiji 2 (1869) in den Besitz des Staates übergegangen. Unter der Aufsicht des Ministeriums für Öffentliche Unternehmen (Kōbushō) begann man mit der Modernisierung, für die man auch ausländische Kräfte nach Japan holte und u.a. im Gold- und Silberbergwerk auf der Insel Sado einsetzte. Doch schon 1872 zerstörten auch hier Arbeitskräfte, die aufgrund erster Modernisierungsmaßnahmen ihre Arbeit verloren hatten, erstmals Maschinenteile und Schienen, die für die Erneuerung der Produktion hätten genutzt werden sollen. Zudem gab es bald darauf Gerüchte, dass die ausländischen Fachkräfte Ziel der Unruhen sein würden. Daraufhin beorderte man zwei Abteilungen mit Soldaten sowie über 100 ehemalige Samurai auf die Insel zum Schutz der ausländischen Kräfte. In den 1870er- und 1880er-Jahren fanden weitere Unruhen mit entsprechenden Sachbeschädigungen statt. Polizeikräfte wurden zum Schutz der Bergwerke abgestellt.[14]
Zu den ausländischen Fachkräften in Sado gehörten fünf Fachleute aus England, nämlich Erasmus H. M. Gower (ab 1869) und James Scott (ab 1870) als Bergingenieure und Experten für die Verhüttung sowie James Dale, John Simmons und Thomas Treloaer als „miner“ (ab 1873); ferner ein an der Bergakademie Freiberg ausgebildeter Bergingenieur aus den USA, Alexis Janin, als Experte für die Verhüttung (ebenfalls ab 1873), und schließlich im November 1873 Adolf Reh aus Deutschland als „tunnel excavator“. Nach Gower und Janin mit einem Monatslohn von 600 bzw. 525 Yen, lag Reh mit 400 Yen in der Gehaltsskala an dritter Stelle.
Ob Adolf Reh tatsächlich durch die Vermittlung seines Schwiegervaters Max Braun, wie oben angedeutet, nach Japan kam, ist nicht sicher. Auf welchem Wege er selbst nach Japan gelangte, ob über Süd-Asien oder über Nord-Amerika, ist ebenfalls nicht bekannt.
Die ausländischen Arbeitskräfte, die in der Regel alleine, also ohne Familie kamen, wurden auf der Insel Sado meist in buddhistischen Tempeln untergebracht. Es waren dies die einzigen Örtlichkeiten, die Platz für Gäste auch längerfristig zur Verfügung stellen konnten. Nur für James Scott, der am längsten auf Sado weilte, ist bekannt, dass er westliche Einrichtungsgegenstände, wie Stühle und einen Tisch, besaß. Wie das Leben der anderen Kräfte verlief, ist nicht im Einzelnen überliefert.
Für das leibliche Wohl war von Anfang an gesorgt. Schon früh war von den ausländischen Fachkräften der Wunsch nach Rindfleisch und Whisky geäußert worden. Ein Händler auf Sado hatte deshalb eine größere Menge Whisky aus Yokohama nach Aikawa auf Sado gebracht. Seit dem Eintreffen von Gower war auch mit dem Schlachten von Rindern für Nahrungszwecke begonnen worden, so dass auch in dieser Richtung für die ausländischen Kräfte gesorgt werden konnte.[15]
Im Gold- und Silberbergwerk Sado wird Adolf Rehs Tätigkeit mit „tunnel-excavator“ (im Japanischen als kaikō-shi, d.h. wörtl. „Fachmann für Schächte“) umschrieben. Über seine Tätigkeit heißt es: „Der für den Abbau untertage verantwortliche Adolf Reh hatte die Aufsicht über die Abteufung des ersten Saigerschachtes nach westlichem Vorbild in Japan. Die Arbeiten des Abteufens begannen im Jahr 1875 (Meiji 8) und wurden im übernächsten Jahr abgeschlossen. Von diesem ca. 150 m tiefen Schacht ausgehend trieb man alle 45 m Strecken in das Gestein. Dadurch konnte eine Steigerung der Leistungsfähigkeit erzielt werden“.[16] Welche Verfahren durch Adolf Reh beim Niederbringen des Schachtes eingesetzt wurden, ist ebenso wenig bekannt wie die Art der Schachtmauerung.
So bedeutsam dieser Schacht auch erscheinen mag, er blieb das einzige Werk, mit dem bis heute an Adolf Reh erinnert wird. Stutzig macht allerdings der Einsatz des Adolf Reh für diese Tätigkeit des Abteufens, denn aus seinem bisher bekannten Lebens- und Berufsweg vor dem Japan-Aufenthalt ist nicht erkennbar, wie und wo er sich die entsprechenden Kenntnisse angeeignet haben könnte. Hat er während seiner Tätigkeit in der Zinkgrube Vieille Montagne, wo man horizontale Strecken nutzte, diese Kenntnisse erwerben können? Diese Frage muss mangels entsprechender Quellen unbeantwortet bleiben.
Zwei frühe Darstellungen des Ōdate-Schachtes stammen aus einem Praktikumsbericht, erstellt im Jahr 1883, also fünf Jahre nach der Abreise des Adolf Reh aus Sado und auch ohne Bezug auf ihn zu nehmen. Die Studenten am Imperial College auf Engineering (jap. Kōbu-dai-gakkō) in Tōkyō, einer frühen technischen Bildungsanstalt, deren Absolventen die japanische Regierung in den öffentlichen Unternehmen einzusetzen gedachte, mussten in den letzten beiden Jahren ihres insgesamt sechsjährigen Studiums praktische Erfahrungen – in der Regel in öffentlichen Unternehmen – sammeln und darüber längere Berichte schreiben.
Der vorliegende Bericht stammt von einem Studenten der Fachrichtung Bergbau namens Ōhara Junnosuke, der neben dem Silberbergwerk Ikuno, dem Kohlebergwerk Miike, den verschiedenen Gruben in Nordjapan, also beispielsweise Innai, Ani oder Aburato, ab März 1883 auch für längere Zeit das Gold- und Silberbergwerk auf der Insel Sado besuchte. In dem vorliegenden rund 99 (z.T. doppelseitig beschriebene) Seiten umfassenden Bericht mit umfangreichen schriftlichen Ausführungen (in englischer Sprache; die Unterrichtssprache am Imperial College of Engineering war Englisch), einer Reihe von Skizzen und zahlreichen technischen Zeichnungen verschiedener Einrichtungen finden sich auch Darstellungen des Ōdate-Schachtes. Neben einer schematischen Skizze betitelt „Imaginary Section of the Odate shaft and levels“ zeigt eine weitere, nicht betitelte Skizze die Lage des Schachtes und die Entfernungen zum Erzgang auf den drei Ebenen (Abb. 4 links und rechts). Weitere Ausführung im Text beschreiben beispielsweise die Anlage der Gänge, deren Abmessungen, die Art des Ausbaus, die Leitung der jeweiligen Ebene. Über dem Schachteingang werden allerdings keinerlei Vorrichtungen zum Einfahren deutlich gemacht. Auch im Text wird diesbezüglich nichts erwähnt.
Ein erstes frühes Foto mit dem Bergwerksgelände und dem Ōdate-Schacht im Hintergrund, zeigt ein über dem Schachteingang errichtetes Gebäude. Das Foto stammt aus dem Jahre 1901 (Abb. 5). Die heute über dem Ōdate-Schacht sichtbare Stahlkonstruktion (Abb. 6) wurde erst im Jahre 1938 errichtet.[17]

Es ist nicht überliefert ob und welche anderen Tätigkeit Adolf Reh auf Sado eventuell noch ausübte. Die meisten Quellen, die zu den ausländischen Arbeitskräften Auskunft geben könnten, sind bei einem Brand im Jahre 1885 (Meiji 18) verloren gegangen,[18] so dass über Erfolge oder Misserfolge kaum Aussagen gemacht werden können. Allerdings scheint zumindest ein Element, das in der Phase der Modernisierung des japanischen Bergbaus dann doch erheblich weitere Bedeutung und Verbreitung erlangte, auf Adolf Reh zurück zu gehen. So wird überliefert, dass durch ihn die sog. Westfälische Froschlampe (Abb. 7) nach Sado gebracht wurde und diese das seit etwa 1820 verwendete traditionelle Geleucht, die tsuri (eine an einem Griff oder Haken befestigte, offene, mit Öl gefüllte und einem Docht versehene Metallschale) ersetzte.[19] Die Froschlampe, zwar ebenfalls mit offener Flamme, aber im Gegensatz zur japanischen tsuri mit geschlossenem Ölbehälter, war vor allem im Erzbergbau, wo die Gefahr von Grubengas mit entsprechenden Folgen kaum auftrat, gut einsetzbar. Allerdings wurde auch die Froschlampe in Japan bald durch die moderne Acetylen- bzw. Karbidlampe ersetzt.
Im Jahre 1878 (Meiji 11) kehrte Adolf Reh nach fast fünfjähriger Tätigkeit auf Sado wieder nach Deutschland zurück. Bislang sind keine Dokumente zugänglich geworden, die über den Aufenthalt von Adolf Reh in Japan nähere Erkenntnisse liefern könnten. Auch sind von ihm selbst keine persönlichen Aufzeichnungen aus seiner Japan-Zeit überliefert. Er hat über seine Tätigkeit in Japan offensichtlich auch keine Berichte in den einschlägigen Fachzeitschriften veröffentlicht, wie wir sie von dem zur selben Zeit in Japan tätig gewesenen Curt Netto, oder den meisten der nur wenige Jahre nach Adolf Reh nach Japan kommenden deutschen Bergingenieure (Rösing, Bansa, Mezger u.a.) vorliegen haben.
5 Spuren in Tirol
Auch die Rückkehr von Adolf Reh nach Deutschland, wann er aus Japan abreiste, mit welchem Schiff er fuhr, wann und wo er dann in Europa bzw. in Deutschland wieder eintraf, bleibt im Dunkel.
Die ersten konkreten Nachrichten über eine weitere bergmännische Tätigkeit können wir nur aus zwei Beiträgen in einer Fachzeitschrift entnehmen. In einem Artikel über Kupfererzvorkommen in Süd-Russland, der 1881 in der Zeitschrift für das Berg‑, Hütten‑, und Salinenwesen im Preussischen Staate erschien, wird als Autor „Adolph [sic!] Reh in Darmstadt“ genannt.[20] Daraus lässt sich vermuten, dass Adolf Reh nach seiner Rückkehr aus Japan zunächst wieder seine Heimatstadt Darmstadt aufgesucht hat. Allerdings gibt es im oben erwähnten Meldebogen der Mutter diesbezüglich keinen Eintrag. Ob der Artikel auf einer Reise nach oder während eines Aufenthalts in Russland entstanden ist, oder sich der Autor auf andere Quellen stützt, geht aus dem Beitrag nicht hervor.
Ein anderer Beitrag in derselben Fachzeitschrift, 1883 veröffentlicht, führt auf eine weitere Spur: In einem Beitrag zu Kupferkiesvorkommen im (heute italienischen) Süd-Tirol wird als Autor „Adolf Reh zu Innsbruck“ genannt.[21] Die in diesem Beitrag zu findenden genauen Angaben über die Umstände der Lagerstätten, der Wasserhaltung, der Aufbereitung und der Verhüttung lassen schon darauf schließen, dass der Autor direkt vor Ort tätig gewesen sein muss. Bestätigt wird dies bereits durch eine Eintragung im Meldebuch der Stadt Innsbruck. Darin wird ein „Bergingenieur Adolf Reh“ genannt, der vom 10. November 1881 bis zum 6. Oktober 1886 in Innsbruck gemeldet war, und zwar als verheiratet mit „Maximiliana, geborene Braun“. Verzeichnet ist auch, dass am 3. April 1882 ein Sohn mit Namen Max in Innsbruck geboren wurde.[22]
Man darf aus diesen Angaben schließen, dass Adolf Reh die Tochter Liane (Maximiliana oder Maximiliane) seines früheren Vorgesetzten Max Braun, Direktor von Vieille Montagne, die er aus seiner Zeit bei diesem Unternehmen kannte, jetzt, nach seiner Rückkehr aus Japan, geheiratet hatte.
Über seine Tätigkeit in Tirol gibt es allerdings nur wenige konkrete Spuren: Sicher ist, dass Reh offensichtlich schon bald nach 1878 (genauere Angaben liegen nicht vor) in Prettau, Südtirol, in der von ihm in seinem Beitrag von 1883 beschriebenen Kupferschmelze tätig war.

Der Kupferbergbau im Südtiroler Ahrntal ist historisch bereits im 15. Jahrhundert fassbar, dürfte aber erheblich weiter zurückreichen. Obwohl der Kupfergehalt des Erzes vergleichsweise gering war, erwies sich der Abbau aufgrund der guten Qualität als lohnend. Besaßen die Gewerke (Anteilsinhaber und Bergwerksunternehmer) bis zum 17. Jahrhundert wahrscheinlich jeweils eine eigene Schmelzhütte, war deren Zahl im 18. Jahrhundert auf zwei Hütten geschrumpft, eine Hütte in Arzbach und eine weitere in Steinhaus. Letztere war dann auch nach Mitte des 18. Jahrhundert geschlossen worden. In Arzbach wurde kurz darauf ein neuer Ofen gebaut, der von seiner Kapazität das gesamte anfallende Erz aufnehmen konnte (Abb. 8). 1878 wurde diese Schmelzhütte durch eine Mure völlig zerstört.[23]
Neu angestellte Untersuchungen zeigten ein beachtliches Schwefelkiesvorkommen, das als Ausgangsmaterial für die Herstellung von Schwefelsäure genutzt werden konnte und auch einen Abnehmer fand, weshalb dann eine neue Schmelze geplant wurde, die in Prettau, in der Nähe der Bergwerke errichtet wurde. Schon im Vorfeld war offensichtlich Adolf Reh bereits an den Planungen beteiligt. Allerdings sind weder die genaue Aufenthaltsdauer noch ein genauer Arbeitsauftrag bekannt.[24] Offensichtlich zeigte er sich optimistisch hinsichtlich der Zukunft des Bergwerks und der Schmelze, und es gelang ihm die anderen Gewerke zu überzeugen. Das neue Schmelzwerk in Prettau wurde nach seinen Entwürfen errichtet.[25] 1883 begann man mit dem Betrieb.
Der Vorgang beruhte allerdings auf einem völlig anderen Prinzip als in den bisherigen Schmelzwerken: „Nach Art der Eisenhochöfen sollte ein ununterbrochener Betrieb möglich werden (was bei der [früheren] Schmelzmethode in Arzbach nicht möglich war). Im Probeofen funktionierte alles scheinbar tadellos, in der Großausführung zeigten sich dann große Probleme: nach 5 oder 6 Tagen erlosch das Feuer, die halb geschmolzenen Erze wurden entsorgt, der Ofen musste neu aufgemauert werden, kurzum, es funktionierte nicht. Eine Mitschuld dürften auch die unqualifizierten Schmelzer haben …“.[26]
Der gesamte Schmelzprozess erwies sich letztlich als ineffizient, die Schmelzkosten waren viel höher, als Adolf Reh sie ursprünglich berechnet hatte. Die Skepsis, die der wichtigste Gewerke, Graf Hugo von Enzenberg, schon vor dem Neubau geäußert hatte, fand nun ihre Bestätigung. Die seitens des Bergingenieurs Adolf Reh „leichtsinnigen und fehlerhaften Berechnungen“, wie der Graf es ausdrückte, waren ein Grund für den Fehlschlag. 1883 musste das Bergwerk schließen.[27] Heute zeugen nur noch Mauerreste und ein Schornstein in Prettau von der Schmelze (Abb. 9).
Nun stellen sich zur Tätigkeit des Adolf Reh in Südtirol eine Reihe von Fragen, für die Antworten wiederum oft nur mittelbar zu erschließen sind. So steht zunächst die Frage im Raum, unter welchen Umständen Adolf Reh zu dieser Tätigkeit in Südtirol kam. Von seiner Ausbildung her war Adolf Reh kein akademisch ausgebildeter Bergingenieur, sondern hatte die allgemeine Abteilung der „Technischen Schule“ in Darmstadt absolviert. Einziger herausragender Punkt dabei war sein Interesse und Fleiß im Fach Chemie. Wie und wo er sich Kenntnisse angeeignet hat, um in Japan als Fachmann für die Schachtabteufung eingestellt zu werden, bleibt der Spekulation überlassen. Gleichzeitig muss aber gefragt werden, wo er dann jene Kenntnisse erwarb, die ihn qualifizierten, die Planung zur Verhüttung der Erze in der Schmelze in Prettau in Angriff zu nehmen. Die Ausführungen in seinem Beitrag in der Zeitschrift für das Berg‑, Hütten‑, und Salinenwesen im Preussischen Staate von 1883 zeigen, dass er in der Lage war, neben geognostischen Analysen chemische Befunde zu machen. Daneben besaß er aber auch offensichtlich technische Erfahrungen im Bau von Schachtöfen. Hatte er sich während seines fünfjährigen Aufenthalts in Japan solche Kenntnisse durch die Kontakte mit den anderen Bergingenieuren aus England und den USA aneignen können? Drei der ausländischen Arbeitskräfte im Gold- und Silberbergwerk auf Sado, nämlich die beiden Engländer Gower und Scott und der aus den USA kommende Janin waren „gestandene“ Bergingenieure. Die englische Sprache war Unterrichtsgegenstand in Darmstadt gewesen, Alexis Janin hatte in Freiberg studiert, sprach also Deutsch – einem fachlichen Austausch standen somit kaum Hindernisse entgegen.
Es ist allerdings keineswegs selbstverständlich, dass jemand, der in Darmstadt wohnt, nach seiner Rückkehr aus Japan in Südtirol eine Beschäftigung findet, wobei darüber hinaus der Betreffende kein ausgewiesener, akademischer „Bergingenieur“ war, sondern bestenfalls seine – allerdings wohl doch umfangreichen – Erfahrungen aus Altenberg bzw. Sado ins Spiel bringen konnte.
Bedeutende Gewerke in Prettau waren, wie schon erwähnt, die Grafen von Enzenberg. Diese Familie besaß neben Prettau auch Anteile an anderen Silber- bzw. Zinkgruben in Tirol, z.B. an der Silberleithe (Biberwier) im nördlichen Tirol.[28] An diesem Bergwerk besaß auch Max Braun, der Schwiegervater von Adolf Reh, und auch dieser selbst Anteile.[29] Durch diese Verbindung – die Anteilhaber trafen sich ja regelmäßig – könnte Adolf Reh entweder durch seine eigenen persönlichen Verbindungen zu den Grafen von Enzenberg oder aber über Max Braun diese neue Stellung in Tirol erhalten haben.
Es ist auch nicht genau eruierbar, ab wann Adolf Reh auch Anteilhaber in Silberleithe war. Zumindest wird er ab 1881 bereits als solcher geführt.[30] Auf welchem Weg er solche Anteile erworben haben könnte, ist ebenfalls unklar. Möglich wäre hier wiederum eine Verbindung über Max Braun zu den Gewerken, die für Adolf Reh Anlass zum Erwerb von Anteilen gewesen sein könnte. Andererseits muss man auch fragen, woher das Kapital kam, mit dem er sich an diesem Bergwerk beteiligte. Möglich erscheint, dass Adolf Reh sich mit dem in Japan erzielten Einkommen (das nicht unerheblich war) nach seiner Rückkehr aus Japan dort einkaufte.[31] Nach 1883 ist zudem in der Liste der Gewerke auch der Name seiner Ehefrau, Liane Reh, zu finden.[32] Ob und wie er eventuell in diesem Unternehmen selbst auch tätig war, ist bislang nicht bekannt.
Allerdings war Adolf Reh auch später, nachdem er 1886 Tirol verlassen hatte, wieder zu Besuch dort. Speziell hat er sich offensichtlich für Silberleithe interessiert und das Bergwerk mit der Postkutsche auch besucht (Abb. 10). Eine seltene Ansicht der Schmelze in Silberleithe ist in einem Fotoalbum der Familie Reh erhalten geblieben (Abb. 11). Bemerkenswert ist, dass Adolf Reh mit der Übernahme eines Anteils am Bergwerk Silberleithe einen bedeutenden Schritt machte, den Schritt zum selbständigen Unternehmer.
6 Adolf Reh – Unternehmer in Berlin
Die Tätigkeit in Südtirol hatte Adolf Reh offensichtlich auch zu Reisen in Italien genutzt. Erstmals war er 1884 in die Region Abruzzen gereist, um dort ein Schwefelvorkommen zu begutachten. Offensichtlich hatte er bei dieser Gelegenheit – wahrscheinlich über seinen Kontakt zum deutschen Konsul H. v. Bremen, der Mitinhaber der Firma L. Claasen & Co. in Ancona war – auch die Asphaltvorkommen von San Valentino in den Abruzzen kennengelernt.
Adolf Rehs Aufenthalt in Tirol geht 1886 zu Ende. Der Meldebogen in seiner Heimatstadt Darmstadt enthält nun folgenden Eintrag: „Seit 6/X. 86 in Berlin aufenthaltlich“.[33] Adolf Reh lebt nun in Berlin in Groß-Lichterfelde.
In Berlin versucht Reh verschiedene Unternehmen, die begonnen hatten, in Berlin Straßen mit einer Asphaltdecke zu versehen, auf den Asphalt von San Valentino aufmerksam zu machen, allerdings vergebens. Deshalb versucht er es auf eigene Faust. In einem ersten Schritt gründet er ein „Versuchs-Asphalt-Konsortium der Abruzzen“, um in Berlin eine Referenzstrecke zu asphaltieren – mit Erfolg. Die Stadtbauverwaltung empfiehlt dann den Kauf der Grubenfelder und deren Ausbeutung.
Am 23. Februar 1889 wird das neue Unternehmen mit dem Namen „Asphaltgesellschaft Reh & Co. für Asphalt aus San Valentino (bei Ancona)“ mit Sitz in Berlin unter Beteiligung Berliner und italienischer Kommanditisten gegründet.[34]
Bald entsteht in San Valentino ein moderner Abbaubetrieb (Abb. 12 und Abb. 13). Das gewonnene Material wird zum Hafen von Ancona gebracht und von dort in alle Welt verschifft. In nur wenigen Jahren kann das Unternehmen Adolf Reh & Co. nicht nur Deutschland, sondern alle Länder Europas, daneben aber auch Kunden in Nord- und Südamerika, im Nahen Osten aber auch in Südafrika beliefern. Die rasche Zunahme des Autoverkehrs und die Nachfrage nach befestigten Straßen führt auch das Unternehmen zur Blüte. Das vom Verein deutscher Chemiker als „interessantes und ökonomisch arbeitendes Werk“ bezeichnetes Unternehmen ist schon im Jahr 1900 erstmals Ziel auch einer Besichtigung.[35]
Die Erfolgsgeschichte des Unternehmens bricht mit dem Kriegsausbruch 1914 ab. Italien ist Kriegsgegner Deutschlands und Österreichs. Durch die Kriegshandlungen ist der Zugang zum Asphaltvorkommen nicht mehr möglich und geht verloren.
Das Unternehmen wendet sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, nachdem man nun auch in der Lage ist, synthetischen Asphalt herzustellen, dem Straßenbau zu und ändert seinen Namen in „Asphaltgesellschaft Reh & Co. Straßenbau“. Verbesserungen in der Produktion sind an der Tagesordnung, um konkurrenzfähig zu bleiben. Die 1920er-Jahre sind trotzdem eine schwere Zeit. Adolf Reh erlebt diese Zeit und einen neuen Aufstieg in den 1930er-Jahren nicht mehr. Er stirbt im Alter von 74 Jahren am 22.8.1924 in seinem Haus in Berlin-Lichterfelde.[36]
7 Schluss
Nach dem Tod des Firmengründers übernimmt sein Sohn, Max Reh, die Leitung. Der wirtschaftliche Aufschwung der 1930er-Jahre wirkt sich auch auf das Straßenbauunternehmen Reh & Co. zunächst positiv aus. Umso gravierender sind dann allerdings die Probleme in der Kriegszeit, in der durch die Luftangriffe der Alliierten große Teile Berlins zerstört werden, darunter auch die Verwaltungs- und Produktionsstätten von Reh & Co. Nur zögerlich kann nach 1947 – bis dahin war das Unternehmen unter Treuhandschaft gestellt – der Betrieb wieder aufgenommen werden. Nach einer Verlagerung des Standortes nach Spandau profitiert auch Reh & Co. zur Zeit des „Wirtschaftswunders“ von verschiedenen Baumaßnahmen. Auch in den 1980er-Jahren stellt Reh & Co. zahlreiche weitere Großprojekte in Berlin fertig.
Der Fall der Mauer führt allerdings bald zu anfänglich noch nicht sichtbaren Problemen: Mehr und mehr werden Unternehmen aus dem westlichen Teil Deutschlands in Berlin tätig und konkurrieren mit den dort ansässigen Unternehmen. Der zunehmende Konkurrenzdruck wirkt sich auch auf die Preise aus. Kaum ein neues Projekt kann mehr kostendeckend abgewickelt werden.
Die Leitung von Reh & Co. zieht daraus die Konsequenz: Im Jahre 1997 wird das Unternehmen liquidiert. Eine 108-jährige Unternehmensgeschichte kommt damit zu ihrem Ende.
[1] Reh & Co. Strassenbau KG (Hrsg.), 75 Jahre Reh & Co. Strassenbau KG, Berlin/Frankfurt/Main, 1964; Reh & Co, Straßenbau GmbH & Co. KG (Hrsg.), 100 Jahre Reh & Co., Berlin 1989.
[2] Vgl. dazu „Reh, Theodor“, in Hessische Biografie, sowie Scheinert, Wolfgang, „Reh, Jacob Ludwig Theodor“, in Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 275–276 (Zugriff am 2023-10-25).
[3] Auf dem Meldebogen der Mutter (erstellt nach dem Tod des Vaters 1868, vermutlich 1871) wird der Name mit „ph“ verzeichnet; Adolf Reh hat – mit wenigen Ausnahmen – seinen Vornamen jedoch durchweg mit „f“, also „Adolf“, angegeben.
[4] Mitteilung des Stadtarchivs Darmstadt vom 26. Oktober 2012. In den Adressbüchern ist die Anschrift der Mutter von Adolf Reh und Witwe nach dem Tode des Theodor Reh im Jahre 1868 mit Neckarstraße 9, ab 1871 unter Steinstraße 8 verzeichnet. Das Haus ist bis 1924 im Besitz der Familie Reh, anschließend in städtischem Besitz.
[5] Vgl. dazu TH Darmstadt (Hrsg.), Technische Bildung in Darmstadt. Die Entwicklung der Technischen Hochschule 1836–1986, Bd. 1: Hochschule, Staat und Gesellschaft, Darmstadt 1995, S. 65.
[6] Vgl. dazu TH Darmstadt (Hrsg.), Technische Bildung in Darmstadt, S. 59. Neben diesen beiden „Classen“, wurde auch eine weitere, „besondere technische Classe“ mit erheblich breiterem und umfangreicherem Stundenplan geführt; dazu s. TH Darmstadt (Hrsg.), Technische Bildung in Darmstadt, Bd. 2: Gewerbeschule und Polytechnikum S. 64–65.
[7] Universitätsarchiv TU Darmstadt, TH 11/01 Nr. I/2 (Matrikelbuch 1861–1891), TH 11/01 Nr. IX/2 (Zensurbuch Obere Allgemeine Abteilung 1863–1869), TH 11/01 Nr. IX/3 (Zensurbuch Untere Allgemeine Abteilung 1864–1869).
[8] Universitätsarchiv TU Darmstadt, TH 11/01 Nr. IX/2 (Zensurbuch Obere Allgemeine Abteilung 1863–1869).
[9] Zur internationalen Stellung dieses Unternehmens vgl. die Studie von Susan Becker, Multinationalität hat verschiedene Gesichter. Formen internationaler Unternehmenstätigkeit der Société Anonyme des Mines et Fonderies de Zinc de la Vieille Montagne und der Metallgesellschaft vor 1914, (BzUG 14), Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2002. Zur besonderen Stellung von Neutral-Moresnet s. Leo Wintgens, Neutral-Moresnet-Neutre. Kelmis, La Calmine, Eupen: Grenz-Echo Verlag 1987; auch Leo Wintgens, Neutral-Moresnet-Neutre. Echos aus einem europäischen Kuriosum, Aachen: Helios-Verlag 2010. Die Angabe zu Max Braun als Direktor der Vieille Montagne auf S. 194.
[10] Wintgens, Neutral-Moresnet-Neutre, S. 18–19.
[11] Kopie des Meldebogens lt. Mitteilung des Stadtarchivs Darmstadt vom 26. Oktober 2012.
[12] Zu diesen Einzelheiten über Max Braun und die Vieille Montagne siehe die Ausführungen von Peter Geck (und Christian Wolkersdorfer) (Zugriff am 2023-10-25).
[13] Zu diesem Punkt siehe die Ausführungen von Peter Geck (Endnote 12).
[14] Yoshiki Fumio, Kindai gijutsu dōnyū to kōzangyō no kindaika (Die Einfuhr moderner Technologie und die Modernisierung des Bergbaus), United Nations University HSDRJE-23J/UNUP-72, 1979, S. 26–27. Siehe auch Yoshiki Fumio, How Japan’s Metal Mining Industries Modernized, Tōkyō: United Nations University HSDRJE-23/UNUP-83, 1979, S. 13–15. – Anmerkung von Christian Wolkersdorfer: Das Bergwerk ist zwischenzeitlich UNESCO Weltkultureerbe und unterhält die Internetseite www.sado-goldmine.jp
[15] Dazu ausf. Yamamoto Yoshinosuke, Sado no hyakunen (100 Jahre Sado), Sado: Sado kyōdo bunka no kai 1978 (1962), S. 98–99.
[16] Sado-shi kyōiku-iinkai sekai isan bunka shinkō-ka (eds), Ōgon no shima o aruku (Wanderungen auf der Gold-Insel), Sado 2008, S. 84.
[17] Dazu ausf. Sado-shi kyōiku-iinkai sekai isan bunka shinkō-ka (eds), Kyū Sado kōzan kindai-ka isan kenzō-butsu mure chōsa hōkoku-sho, Sado 2008, Kap. 4.
[18] Saitō Motoyasu, Meiji shoki Sado kinginzan no kindai-ka (Zur Modernisierung des Gold- und Silberbergwerks Sado in der frühen Meiji-Zeit)、http://www.e‑convention.org//imhcp//papers/Saito_j.pdf, pp. 3–4 (Zugriff am 2010-09-07; der Beitrag wurde zwischenzeitlich gelöscht).
[19] Okada Yōichi, „Honpō kōzan tōka-kō“ (Überlegungen zum Geleucht im japanischen Bergwerk), in Kyūshū kōzan gakkai-shi Vol. 2, No. 12, S. 873–883, insbes. S. 878; vgl. dazu auch TEM kenkyū-shio (Komp.), Zusetsu Sado kinzan (Bildliche Darstellung des Goldbergwerks Sado), Tōkyō: Kawade shobō shinsha 1985, S. 58–59.
[20] „Das Kupfererz- und Salz-Vorkommen in der Permischen Formation Südrusslands“, in Zeitschrift für das Berg‑, Hütten‑, und Salinenwesen im Preussischen Staate, Bd. 29 (1881), S. 276–280.
[21] „Das Kupferkies- und Schwefelkies-Vorkommen von Prettau im Ahrenthal (Süd-Tyrol) und dessen technische Ausbeutung“, in Zeitschrift für das Berg‑, Hütten‑, und Salinenwesen im Preussischen Staate, Bd. 31 (1883), S. 166–172.
[22] Laut Mitteilung von Dr. Heinz Moser, Tiroler Landesarchiv vom 16.5.2008: Meldebuch Innsbruck, Band 1/12 (Hauptparteienprotokoll 1881–1893), Nr. 49: Bergingenieur Adolf Reh.
[23] Rudolf Tasser/Norbert Scantamburlo, Das Kupferbergwerk von Prettau, Bozen: Athesia 1991, S. 75.
[24] Diesbezügliche Informationen stammen von Hans Leiter, Museumsleiter im Kornkasten Steinhaus (Mail vom 7. Mai 2008) und von Rudolf Tasser, dem ehemaligen Direktor des Südtiroler Bergbaumuseums.
[25] Dazu siehe Hans Leiter, „Schwefelsäure aus Prettauer Erz oder Schwefelkies und der weite Weg nach Heufeld in Bayern“, in Tiroler Chronist Nr. 92 (Oktober 2003), S. 12–18, insbes. S. 13 und 15. Vgl. dazu auch die schwärmerischen Ausführungen von Adolf Reh in seinem Beitrag zum Kupferkies- und Schwefelkies-Vorkommen von 1883 in der Zeitschrift für das Berg‑, Hütten‑, und Salinenwesen im Preussischen Staate. Es heißt dort wie folgt: „Da die Gewinnungskosten sehr niedrig sind, wird daher der Schwefelkies-Abbau, trotz der großen Frachten für den Kies bis zur Fabrik, ein sehr günstiges Resultat ergeben. Im laufenden Jahre 1883 sollen 1 500 t, im Jahre 1884 das doppelte Quantum gefördert und versandt werden“ (S. 172).
[26] Schriftliche Mitteilung von Dr. Hans Leiter vom 23. Oktober 2012. Zum Probeofen (Schachtofen) und seinen Abmessungen siehe auch Adolf Rehs Hinweise in seinem Beitrag zum Kupferkies- und Schwefelkies-Vorkommen von 1883 in der Zeitschrift für das Berg‑, Hütten‑, und Salinenwesen im Preussischen Staate als Fußnote auf S. 172.
[27] Hans Leiter, „Schwefelsäure aus Prettauer Erz …“, S. 15.
[28] Zur Geschichte der Silberleithe s. Christian Wolkersdorfer Bergbau an der Silberleithe – Geschichte, Mineralisation und Entstehung der Blei-Zink-Vorkommen im westlichen Mieminger Gebirge, 2. Aufl., 89 S., 74 Abb., 6 Tab.; Freiberg 2000 (Eigenverlag Wolkersdorfer); eine kurz gefasste Einführung zur Geschichte s. auch in Christian Wolkersdorfer u.a., Führer zum Montan-Wanderweg Silberleithe, Biberwier: Bergwerksverein Silberleithe Tirol 2007.
[29] Wie bedeutsam der Anteil des Max Braun war, wird auch in der Tatsache deutlich, dass man einen Stollen speziell als „Max-Braun-Stollen“ benannte.
[30] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Silberleithe#Gewerken_an_der_Silberleithe (Zugriff am 2023-10-25).
[31] Auch andere Beispiele von in Japan tätig gewesenen ausländischen Kräften zeigen, dass sie häufig ihre dort erzielten und meist nicht unerheblichen Einkünfte nach ihrer Rückkehr in Unternehmensanteile investierten.
[32] Siehe die Liste der Gewerken an der Silberleithe (diese Listen allerdings ohne genaue Jahresangaben!)
[33] Mitteilung des Stadtarchivs Darmstadt vom 26. Oktober 2012.
[34] Das Werk lag in Berlin, Charlottenburg, Helmholtzstraße 3. Die verschiedenen vorangehenden und nachfolgenden Angaben zu diesem Unternehmen sind anhand der Angaben in den Firmenfestschriften Reh & Co. Strassenbau KG (Hrsg.), 75 Jahre Reh & Co. Strassenbau KG, Berlin/Frankfurt/Main, 1964; Reh & Co, Straßenbau GmbH & Co. KG (Hrsg.), 100 Jahre Reh & Co., Berlin 1989, zusammengestellt.
[35] Zeitschrift für angewandte Chemie, Bd. 13, No. 31 (1900), S. 778.
[36] Zeitschrift für angewandte Chemie, Bd. 37 (1924), S. 728.
Erich Pauer, bearbeitet von Christian Wolkersdorfer 23. Oktober 2023 – 13. April 2025