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Der Dra­chen­see liegt an dem Mie­min­ger Gebir­ge unterm Son­nen­spitz mit­ten auf grü­nen Mat­ten von star­ren Fel­sen­wän­den über­ragt. In den aller­frü­hes­ten Zei­ten der Ansie­de­lung soll der hei­li­ge Magnus in die­se Gegend gekom­men sein (wovon frei­lich die Legen­de die­ses Hei­li­gen nichts ver­kün­det) und den Bewoh­nern das Chris­t­ent­hum gepre­digt, sie auch den Berg­bau gelehrt haben. Auf die­sem Wege wur­de ein Gold­schacht ent­deckt und aus­ge­beu­tet, der die Bewoh­ner des Gebir­ges zwar reich mach­te, aber auch sel­be aus from­men Men­schen in über­müt­hi­ge und hof­fär­ti­ge umwan­del­te, wie das so häu­fig geschah und noch geschieht. Gott und sein hei­li­ges Evan­ge­li­um, Chris­tus und sei­ne Mut­ter, der heil. Geist und alle lie­ben Got­tes­hei­li­gen wur­den ver­ges­sen, und nur dem Mam­mon wur­de gefröhnt, der Wol­lust, der Klei­der­pracht, und die Armuth wur­de ganz und gar ver­ach­tet, da es in dem Orte, der auf jener Ber­ges­hö­he ent­stan­den war, durch den Berg­se­gen kei­ne Armen mehr gab.

Da kam eines Mor­gens ein alter eis­grau­er Mann im Bett­ler­ge­wan­de in den Ort, und bat um Auf­nah­me für die Nacht, wur­de aber über­all abge­wie­sen und vor die Thü­ren gesto­ßen. Dar­auf wand­te er sich hin­weg, kam im unwirth­ba­ren Gebir­ge um und sprach ster­bend einen Fluch aus über Dorf, Bewoh­ner und Berg­werk. Da began­nen Don­ner zu grol­len und die Erde zu beben, und der Ort ver­sank, und am andern Mor­gen deck­te ein ruhi­ger, aber dunk­ler See die Stät­te samt allen ihren Bewoh­nern. Die­se leben noch ein ruhe­lo­ses Geis­ter­le­ben; aus dem See her­aus dür­fen sie nicht, ein Dra­che bewacht sie, den man oft­mal auf­tau­chen gese­hen, und des­halb führt der See den Namen: Dra­chen­see. – In der Christ­nacht hört man das Glöck­lein in der mit­ver­sun­ke­nen Dorf­ka­pel­le läu­ten, und sieht auch wohl die büßen­den Bewoh­ner zur Kir­che zie­hen, die dann empor zu stei­gen scheint, aber wehe dem, der nicht nur sieht, son­dern auch gese­hen wird. Der Dra­che fährt dann aus dem Was­ser, faßt ihn und gesellt ihn zur Schar der Ver­damm­ten.

aus: Deut­sche Alpen­sa­gen. Gesam­melt und her­aus­ge­ge­ben von Johann Nepo­muk Rit­ter von Alpen­burg, Wien 1861, Nr. 138, S. 141–142