Einleitung
Wer heute von Obsteig oder Imst kommend in Richtung Fernpaß fährt, hat oftmals nur einen Blick für die majestätisch aufragende Miemingerkette, den Tschirgant oder die Heiterwand übrig; dem eilig sich fortbewegenden Kraftfahrer entgehen jedoch die Schätze, die unsere Gebirge bergen. Erst eine kleine Pause in Nassereith eröffnet dem naturinteressierten Besucher die Zeichen längst vergangener Zeiten: Bergbauhalden an den steilen Felsen und den Hochtälern in den Nördlichen Kalkalpen um den ehemaligen Bergbauort Nassereith. Silber, Blei und Zink bescherten unseren Vorfahren sechs Jahrhundert lang Arbeit und Reichtum, aber auch Schmerz und Leid.
Worin liegen die Gründe dieses Metallreichtums? Welche Vorgänge haben die Berge geformt, die wir heute vor uns sehen?
Über diese Fragen soll dieser Beitrag handeln: über die Gesteine der Berge und über die Metalle, die wir darin vorfinden – oder für den Fachmann: die geologisch-petrografischen und die lagerstättenkundlich-genetischen Verhältnisse.
Die Gesteine der Berge – Geologische Verhältnisse
Geologe, so nennt sich der Wissenschaftler, der die erdgeschichtlichen Abläufe beschreibt und deutet. Mit Hammer, Lupe, Kompass und Feldbuch ausgerüstet zieht er hinauf in die Felsen und hinab in die Bergwerke, gibt den Gesteinen und Erzen Namen und beschreibt die Vorgänge der Gebirgs- und Lagerstättenentstehung. Das Ergebnis von 150-jähriger Forschung im Bereich des Mieminger Gebirges und der Lechtaler Alpen soll Ihnen im Weiteren vorgestellt werden. Leider ist die Natur in der Umgebung von Nassereith mit Versteinerungen und Kristallen sehr sparsam umgegangen, so dass der Freund solcher Naturschätze sehr viel Geduld für sein Hobby mitbringen muss. Nur gelegentlich findet der aufmerksame Wanderer auf den Bergwerkshalden Kristalle oder Erzminerale.
In Bereich von Nassereith, nördlich der Linie, die uns der Inn vorgibt, begegnen wir zahlreichen Gesteinseinheiten, die verschiedenen Erdzeitaltern angehören und uns Zeugnis über die letzten 250 Millionen Jahre der Erdgeschichte ablegen: der Trias, dem Jura, der Kreide und dem Quartär. Dass wir gerade hier so viele unterschiedliche Gesteine antreffen, hat zwei Gründe: die Überschiebung zweier bedeutender geologischer Einheiten und unterschiedlicher Ablagerungsbedingungen zwischen dem Festland und einem Algenriff.
Geografisch gesehen liegt Nassereith zwischen dem Mieminger Gebirge im Osten und den Lechtaler Alpen im Westen. Trennlinie dieser beiden Gebirge ist die Fernpaßfurche mit Loisach und Briglbach, die sich im Gurglbach fortsetzt. Gleich zwei bedeutende Trennlinien finden sich in Nassereith: einerseits die Loisachstörung und andererseits die Grenze zwischen Inntaldecke und Lechtaldecke. Eine geologische Decke ist ein Gesteinspaket, das durch gebirgsbildende Vorgänge bewegt und aus ein anderes Gesteinspaket geschoben wurde. Dadurch kam die Inntaldecke über der Lechtaldecke zu liegen, was zur Folge hat, das um Nassereith bereichsweise ältere Gesteine über jüngeren liegen.
Die meisten Gesteine, aus denen Mieminger und Lechtaler Alpen aufgebaut sind, lagerten sich auf dem Grund eines Ozeans ab. Rest dieses Ozeans, das ehemalige Tethysmeer, ist unser heutiges Mittelmeer. Als sich die Gestein vor 100—250 Millionen Jahren bildeten, herrschte ein Klima, das etwa dem der Ostküste Australien entspricht. Etwa zu dem Zeitpunkt, als die Dinosaurier ausstarben, also vor rund 65 Millionen Jahren, schob sich der damalige Afrikanische Kontinent nach Norden und formte in einem bis heute andauernden Prozess die Alpen – folglich auch die Gebirge um Nassereith.
Im Weiteren sollen die wichtigsten Gesteine, die stark vereinfacht auf der geologischen Karte zu sehen sind, vom Ältesten zum Jüngsten beschrieben werden:
Reichenhall Schichten (Anisium)
Typischerweise bestehen die Reichenhall Schichten aus dünnplattigen Dolomitsteinen, dolomitischem Kalkstein und Rauhwacken mit zumeist braungrauen Farben, die sich durch Verwitterung gelblich bis ockergelb verändern. Beim Zerschlagen riecht das Gestein nach Bitumen. Die heute 100 bis 120 m dicken („mächtigen“) Gesteine entstanden in einem flachen, salzreichen Schelfmeer abseits des Gesteinsschutt liefernden Grundgebirges.
Alpiner Muschelkalk (Anisium)
Der Alpine Muschelkalk entstand in einem sehr seichten Meer und fällt durch seine dunkelbraune Farbe und die gute Schichtung auf, wie sie in St. Veith oder im Bereich Haverstock zu beobachten ist. Eine Eigenschaft, die sie von den anderen Gesteinen im Umfeld Nassereiths abhebt, sind die unebenen flaser‑, knollen- und wurstelartigen Schichtungsoberflächen. Solche Strukturen werden als Wühl- und Grabgänge von Würmern und Kleinkrebsen gedeutet und wittern oft aus dem Gestein heraus. Im oberen Bereich des Alpinen Muschelkalks kommen zahlreiche Hornsteine vor, die aus Kieselschwämmen entstanden sind und früher beispielsweise am Fuß des Wettersteingebirges als „Zundersteine“ zum Feuermachen gebrochen wurden. Andere Versteinerungen neben den Kieselschwämmen belegen, dass diese Gesteine in tieferem Wasser abgelagert worden sind.
Somit erkennen wir vom Ablagerungsbeginn der Reichenhall Schichten bis zum Ende der Ablagerung des Alpinen Muschelkalkes folgende allmähliche Entwicklung: Anfangs ein übersalzenes Randmeer, das am Ende zu einem normalsalzigen, tiefen Ozean wird.
Partnachschichten (Ladinium)
Dunkle, plattig-knollige Tonsteine und Kalke, wie sie in Dirstentritt angetroffen wurden, gehören den Partnachschichten an, deren Name sich von der Partnachklamm bei Garmisch-Partenkirchen ableitet. Sie wurden in einem ca. 100 m tiefen Becken abgelagert, das dem Riff des Wettersteinkalks vorgelagert war.
Wettersteinkalk (Ladinium-Karnium)
Auffallendstes Gestein sind die hellgrauen bis weißen Kalke des Wettersteinkalks, die den weitaus größten Teil des namensgebenden Wettersteingebirges, aber auch des Mieminger Gebirges und der Lechtaler Alpen aufbauen. Der Wettersteinkalk erreicht eine Dicke von über 1000 m und ist fast durchwegs gipfelbildend. Er ist dreigeteilt: unten massiger, hellbrauner bis weißer Kalkstein aus dem Schuttbereich eines Algenriffs, darüber ein gut geschichteter, bräunlicher Kalkstein und oben dünngeschichteter Kalk- und Dolomitstein einer ehemals flachen Lagune.
Das Gestein baut sich zum überwiegenden Teil aus kleinen Algen und größeren Schwämmen und Korallen auf. Somit zeugt der Wettersteinkalk davon, dass er südlich seiner heutigen Lage, in einem heißen tropischen bis subtropischen Bereich abgelagert wurde.
Fast alle Erzvorkommen finden sich, häufig schichtgebunden, in diesem Gestein.
Raibler Schichten (Karnium)
Die 200 bis 250 m mächtigen Raibler Schichten bestehen zum Großteil aus kalkigem Dolomitstein und fallen durch die ockerfarbene Verwitterung auf, die zum einen auf Dolomit- zum anderen auf Pyritverwitterung zurückzuführen ist. Es kommen dunkelschwarze, pyritreiche feingeschichtete Schiefertone vor, bei denen es sich um Gesteine des Raibler Grenzlagers („Kiesschwarte“) handelt. Teilweise bildet der Pyrit darin ein dichtes Netzwerk, das Schrumpfungsrisse des Schiefertons durchsetzt.
Neben diesen Tonschiefern gibt es dunkle, griffelartig brechende Mergel, sowie wenig Sandstein mit kalkigem Bindemittel und einen dunkelgrau verwitternden Kalkstein. Sämtliche dieser Gesteine sind stark tektonisch zerstört, wie die Auffahrung im Feigensteiner Anna-Stollen belegt.
Hauptdolomit (Norium)
Große Bereiche südlich des Mieminger Hauptkammes und im Heiterwandgebiet bauen sich aus dem Hauptdolomit auf, der bis zu 1000 m dick werden kann. Das frische, meist gut geschichtete und geklüftete Gestein hat hell- bis dunkelgraue Farben, riecht beim Zerschlagen oft nach Bitumen und verwittert braun, wobei sich nährstoffreiche Böden bilden. Es stellt den Ablagerungsraum einer sehr seichten, salzreichen gezeitenbeeinflußten Lagune dar, der schon sehr bald nach der Ablagerung dolomitisierte.
Plattenkalk (Norium)
Plattige bis dünnschichtige, seltener dickschichtige, graue bis dunkelgraue, oft auch bräunliche Kalksteine sind kennzeichnend für den Plattenkalk. Oftmals riecht das Gestein beim Zerschlagen nach Bitumen („Ölschiefer“). Mitunter finden sich zwischengeschaltene Mergellagen, die einen nährstoffreichen Boden liefern. Das Gestein entstand in seinen unteren Partien im Gezeitenbereich, wohingegen die oberen Partien in tieferem Wasser abgelagert wurden. Insgesamt wird der Plattenkalk 550 m dick.
Kössen Schichten (Rhätium)
In einem flachen Meeresbereich lagerten sich die blaugrauen, versteinerungsreichen Kössen Schichten ab. Sie verwittern gelbbraun und können bis zu 350 m dick werden. Die feingeschichteten Mergel sowie dickschichtigen Mergelkalke waren ursprünglich im Bergbau St. Veith gut aufgeschlossen.
Aptychenschichten (Jura)
Hellgrüne Mergel mit dunklen, oft rötlichen Flecken, die ehemalige Fress- und Wohnbauten von Meereslebewesen darstellen, sind charakteristisch für die Aptychenschichten. Sie sind durch die Gebirgsbildung stark beansprucht und eng gefaltet. Die Mergel, die in einem tiefen, wenig bewegten Meeresbecken abgelagert wurden, sind wenigstens 300 m dick. Sie sind beispielsweise im St. Veither Bismarck-Stollen anzutreffen.
Christian Wolkersdorfer 26. April 2007