Ein Kuriosum vom Anfang des 20. Jahrhunderts
Im Schlußabsatz des Leitartikels in vorliegender Nummer wird die „Seebensee-Bahn“ erwähnt. Für diese geplante Seilschwebebahn liegen zwei Projekte vor, eines soll in diesem Jahre noch zur Ausführung kommen. Eine kurze Zusammenstellung der uns hierüber bekannt gewordenen Zahlen dürfte unsere Leser interessieren.
Anonymous (1926): Die Seebensee-Bahn. – Die Zugspitze, 4:77, 2 Abb.
Die Schriftleitung
Die Hochstation der Seebenbahn liegt in fast 1700 Meter Höhe. Die Länge der Bahn beträgt etwa 1450 m und die zu überwindende, senkrechte Höhe 600 m. Die Zugstraße überquert zunächst das schluchtartige Seebenbachtal und führt in wohldurchdachter Anordnung unmittelbar neben dem rauschenden Seebenfall in den wild zerrissenen Steilabstürzen der Seebenwand in luftige Höhe. Die Bahn wird eine Pendelbahn nach bewährtem System. Die Kabinen fassen, wie bei der Zugspitzbahn, 19 Fahrgäste und den Wagenführer. Die Fahrzeit beträgt etwa 6 Minuten. Stündlich können 7 Spiele mit zusammen 130 Personen in jeder Richtung ausgeführt werden. Die Seebenbahn hat die Eigenart, daß sie ohne jegliche Stütze die Gesamtlänge von 1450 Meter überbrückt, wodurch sie sich unauffällig in das Landschaftsbild einer großartigen Bergwelt einordnet. Die Herstellungskosten werden dadurch bedeutend gemindert. Ebenso kommen die beträchtlichen Ausgaben für eine Hilfsseilbahn beim Bau für das Unternehmen in Wegfall. Die Gesamtbaukosten werden nur auf etwa 400 000 Mark veranschlagt. Mit der Bahn soll gleichzeitig ein Berghotel am Seebensee errichtet werden, das als Standquartier für Bergturen, als Kurplatz, und für Wintersport gedacht ist.
Nach einem anderen, ebenfalls von Bergwerksdirektor Landgraeber ausgearbeiteten Projekt, soll die Talstation direkt bei der Dorflage von Ehrwald errichtet werden, um die Zufahrtsstraße möglichst abzukürzen und gleichzeitig die Zugstraße bis zum Drachensee und der Koburger-Hütte geführt werden. Abbildung 2 stellt ein Profil dieses Bahnprojektes dar. Die geneigte Länge von der Talstation bis zur Seestation beträgt 1800 Meter, der Neigungswinkel 20°, der senkrechte Höhenunterschied 700 Meter und die wagrechte Länge 1650 Meter. Die Daten für den Abschnitt von der Seestation zur Bergstation sind: schräge Länge 1800 Meter, Neigung 5–6°, Höhendifferenz 140 Meter und söhlige Länge 1780 Meter. Dieses, von der bereits vorkonzessionierten Seeben-Drahtseilbahn abweichende Projekt, stellt eine Erweiterung des ursprünglichen Planes dar. Die Ausführung dieses zweiten Projektes ist so gedacht, daß die Seestation, die zugleich als einzige Stütze dient, genau in die Mitte zwischen Tal und Bergstation zu liegen kommt. Die geneigten, beiden Längen sind genau gleich. Die Seestation soll als Ein- und Aussteigbahnhof ausgebaut werden. Der Baupreis dieses Projektes wird auf eine Million Schilling veranschlagt. Die Bahn soll den Namen „Seebensee-Drachenfee-Bahn“ führen. – Zum Schlusse wollen wir als Kuriosum noch erwähnen, daß die kommende Seebenseebahn wohl die einzige Bergbahn sein wird, bei der die Anregung zum Bau von der in diesem Gebiet arbeitenden Sektion des D.-Oe. Alpenvereins ausgegangen ist.
Anonymous 1926 19. Juni 2023