5. und 6. Oktober 1896 – Anreise
Da der um 5 Uhr 25 M. früh von Innsbruck nach dem Oberinnthale abgehende Zug von Hall aus mangels vorhandenen Anschlusses nicht erreicht werden kann, fuhr der Gefertigte am Vortage Montag den 5.10. um 7 Uhr 15 M. abends von Hall nach Imst, wo er um 10 Uhr 48 M. nachts einlangte und am 6.10. nach Biberwier weiterfuhr. Der noch zur Verfügung stehende Rest des Tages wurde zur Besichtigung der Aufbereitungsanstalt zu Biberwier und zur Einsicht in die Grubenkarten der oberwähnten Bergbaue verwendet, welche beide in bester Ordnung befunden wurden.
7. Oktober 1896 – Silberleithe
Mittwoch den 7.10. wurde in Begleitung des Werksverwalter A. Häusing früh morgens zum Bergbaue Silberleiten aufgebrochen und hierbei der Aufstieg nach dem eben nicht benützten, aus 2 Stücken bestehenden und im Ganzen 1480 m langen Bremsberg genommen, dessen Kopf mit dem Crescentia-Stollen durch eine Horizontalbahn verbunden ist; bis auf den Horizont des letzteren werden die gewonnenen Erze unter Tag abgestürzt. Sodann wurde in dem 60 m über den Crescentia-Stollen befindlichen Michaeli-Stollen angefahren und auf dessen Horizonte sowie auf jenem des 20 m höheren Aloisa-Stollen sämtliche gegenwärtig noch Erze zeigende Abbaupunkte (im Ganzen 8) besucht. Dieselben lassen sämtliche fast nur Zinkerze (Galmei und Zinkblende) beleuchten und enthalten nur geringe Beimengungen von Bleiglanz. Der Grund hieran liegt darin, weil in dem alten Baue kein unverrritztes Feld mehr vorhanden ist, sondern lediglich zwischen dem alten Mann und an dessen Begrenzung die von den Alten weniger gesuchten und daher oft zurückgelassenen Galmeie und Zinkblenden zur Gewinnung mit nicht geringen Schwierigkeiten aufgesucht und abgebaut werden können. Diese Arbeiten im alten Felde, welche nach den vorstehenden Verhältnissen einen Gewinn wohl nicht erwarten lassen, vielmehr durch den Erzfall nicht einmal die Kosten zu decken vermögen, werden nur deshalb vorgenommen, um den geübten Arbeiterstand über die gegenwärtig äußerst ungünstigen Verhältnissen dieses Bergbaues hinaus dem Werke zu erhalten, ein Vorgang, der von den Arbeitern nicht verkannt wird, sondern volle Würdigung findet. Hierauf wurde wieder ausgefahren und von einem Übersicht bietenden Punkte das Tagterrain besichtigt und der künftige Betriebsplan dieses Bergbaues besprochen, der ungefähr im folgenden besteht:
Der Bergbau bewegte sich bisher im Schachtkopfe, einem Vorberge des s.g. Wampeten Schroffen; hinter demselben steigen nahezu senkrecht die aus Wettersteinkalk bestehenden Wände des Wampeten Schroffens noch beiläufig 1300 m empor. Von diesem ist der Schachtkopf durch die Wasserkluft, eine sehr mächtige, auch unter sich verengende mit Zerreibsel, Letten etc. gefüllte und sehr stark wasserführende Spalte getrennt. Diese Spalte ist wiederholt, zuletzt mit dem tiefsten (Max Braun-) Stollen durchfahren worden, um die Fortsetzung der Lagerstätte hinter derselben zu finden; alle diese Versuche bleiben jedoch resultatlos, da hinter der Wasserkluft stets ein Kalk angefahren wurde, welcher mit dem, der im Schachtkopfe das Liegende der Lagerstätte bildet, die meiste Ähnlichkeit besitzt. Hiernach wäre anzunehmen, daß die Fortsetzung der Erzlager nicht in der Teufe, sondern in der Höhe zu suchen wäre und zwar in den Wänden des Schroffens, die sich jenseits der Kluft frei erheben. Dieser Annahmen liegt die Voraussetzung zu Grunde, daß der ganze Schachtkopf nichts anderes als ein Stück des Schroffens bilde, welches längs dessen gegenwärtig frei aufragenden Wänden abgerutscht ist. Wirklich wurden in den Wänden des Schroffens und zwar in einer der vorerwähnten Annahme entsprechenden Höhe bereits Ausbisse constatiert, welche seinerzeit von s.g. Freigrüblern auch stellenweise abgebaut wurden, die dann das Erz der Hütte in Silberleiten zur Einlösung übergaben. Diese Ausbisse sind jedoch wegen der Schroffheit des Gebirges nur sehr schwer zu erklimmen, zum größsten Theile ganz unzugänglich. Daher wird gegenwärtig am Fuße der Wände und zwar dort, wo sich der Schachtkopf in seinem höchsten Punkte an die Wände anlegt, am Rande einer dort befindlichen Schutthalde ein Stollen gegen Osten getrieben, von welchem dann aufbruchmäßig das den Ausbissen entsprechende Erzvorkommen durchquert werden soll. Bestätigt sich die vorerwähnte Rutschungstheorie, d.h. bilden die erwähnten Ausbisse […] die Fortsetzung des Erzvorkommens im Schachtkopfe, so dürfte die Zukunft dieses Bergbaues noch auf unangebbare Zeit gesichert sein, andernfalls müsste dieser alte und […]reiche Bergbau binnen kurzem zum Erliegen kommen. In ein bis zwei Jahren dürfte man mit dem Schurfstollen die Erzausbisse verquert haben, in welcher Zeit somit auch die Lebensfrage diese Bergbaues zur Lösung kommen wird.
Ein bergbaupolizeilicher Anstand wurde nicht erhoben; Die Arbeiterschaft, die sich durchwegs aus Einheimischen recrutiert und in den allermeisten Fällen nebenbei ein kleines Anwesen besitzt, scheint mit den bestehenden Ablöhnungsverhältnisse zufrieden zu sein, wozu das Vorhandensein eines Consumvereines auch beträgt.
Am Abend des 7.10. kehrte der Gefertigte mit dem Bergverwalter A. Häusing nach Nassereith zurück, um die in dessen Umgebung befindlichen Baue St. Veit, Dirstentritt und Feigenstein zu besuchen, die sämtlich außer Betrieb und in Fristung sind.
8. Oktober 1896 – Bergbau St. Veit im Tegestal
Am 8.10. wurde um 7 Uhr früh von Nassereith aufgebrochen und um 12 Uhr Mittags der Bergbau St. Veit im Tegestal erreicht, der am nördlichen Abhange der Heiterwand in einer Seehöhe von 1800 m liegt. Außer der verbrochenen Fundgrube befindet sich hier der 50 m tieferliegende Veit-Stollen, der befahren wurde. Er ist ungefähr 170 m lang, zum Theil in Schrämarbeit und hier dann außerordertlich schmal und niedrig getrieben, so daß die Befahrung sehr schwierig ist. Die stellenweise sehr großen und 25 m unter die Stollensohle hinabreichenden Verhaue lassen mitunter eingesprengte Zinkblende und Galmei beleuchten, wogegen Bleiglanz nur an einer Stelle zwar großkristallinisch doch nicht sehr ansehnlich angetroffen wurde. Nach Ansicht des genannten k.k. Bergverwalters dürften die schlauchartigen Hohlräume mit derben Bleiglanz ausgefüllt gewesen sein, der außen rindenartig mit Zinkblende und Galmei umhüllt gewesen sein dürfte; die Alten gewannen den Bleiglanz und ließen die Zinkerze zurück, die daher noch gegenwärtig theilweise anstehen.
Die Höhenlage und Klüftigkeit des Gesteines gestatteten ohne Wasser- oder Wetternoth auch unter die Stollensohle (bis zu 25 m) hinabzugehen; überhaupt ist der Stollen von dem Momente, wo er die Erze erreichte, den Erzen nach bald aufwärts, bald abwärts getrieben. 52 m unter St. Veit ist ein Zubaustollen angelegt (im Jahre 1894), der gegenwärtig 80 m tief ist und bis zur Anfahrung des Erzes noch 70 bis 80 m Ausschlag erfordern dürfte. Die Baue befinden sich in gutem Stande; Der St. Veit-Stollen ist durchwegs auch in den Gesenken befahrbar, der Zubaustollen mit 2,5 m Höhe sehr gut erhalten. Die Zukunft des Bergbaues beruht auf dem Unterbaue; wenn dieser weitere Erzschläuche anfährt, könnte sich ein Betrieb trotz der Abgelegenheit nicht unrentabel gestalten. Die gegenwärtigen Besitzverhältnisse lassen die Inangriffnahme des Bergbaues kaum erwarten, da die Bankcommandite Heinemann-Hupfeld u. Comp. den Bergbau als Pfandobjekt in ihre Hände bekam und lediglich auf dessen Verkauf bedacht ist.
Schließlich sei bemerkt, daß sich dieser Bergbau eigentlich nicht mehr im Tegesthale sondern über der Wasserscheide im Rothlechthale sich befindet. Nebenstehende Skizze veranschaulicht das Vorkommen in einem Schnitte von Norden nach Süden.
9. Oktober 1896 – Dirstentritt und Feigenstein
Am Abend vom 8.10. wurde nach Nassereith zurückgekehrt und am 9.10. vormittags zunächst der Bergbau Dirstentritt besucht, der westlich von Nassereith im Gafleinthale liegt und in 2 Stunden von Nassereith erreichbar ist. Die Lagerstätte desselben, ein von Norden nach Süden streichender Gang besteht in einer sandigen Gangmasse, die durchwegs mit Bleierzen und zwar meist kohlensaueren imprägniert ist (Pb-Gehalt bis zu 10 %); hierinnen finden sich Anreicherungen und zwar Putzen von derben Bleiglanzen, die von den Alten allein abgebaut wurden. Nachdem die Lagerstätte in dem alten Baue durchwegs bis zum Maria-Heimsuchungsstollen und schachtmäßig auch noch unter denselben bis auf 100 m Teufe wenigstens bezüglich der Anreicherungen abgebaut ist, beruht die Zukunft dieses Baues auf den 350 m unter Maria-Heimsuchung liegenden Zubaue, der gegenwärtig 500 m lang ist, aber die Lagerstätte noch nicht erreicht hat. Derselbe ist 2 ½ m hoch, mit eisernen Schienen belegt und gut befahrbar. Bemerkenswert sind die bitumenhältigen Schiefer im Kalke, die mit dem Stollen bereits durchfahren wurden, welche leicht brennbar sind, aber wegen zu großen Aschengehalten zur Feuerung doch nicht verwendet werden können. Am Maria-Heimsuchungsstollen steht ein Knappenhaus mit Schmiede, am Unterbau ein kleineres Knappenhaus, alles sehr gut erhalten. Die 100 Kuxe der Gewerkschaft sind zur Hälfte im Besitze der Erben nach Dr. Bandmann und des C. Carstens beide in Hamburg. Mit dem Tode des ersteren gerieth der Vortrieb des Zubaues ins Stocken und wird gegenwärtig nach Angabe des Bergverwalters Häusing der Verkauf des Werkes angestrebt. Dieser Bau scheint einer der hoffungsvollsten zu sein, wenn es gelingt, nicht nur die edlen Anreicherungen, sondern auch die ganze Gangfüllung auf ihren 8—10-%-igen Pb-Gehalt zu verwerthen.
Der Nachmittag des 9.10. wurde zum Besuche des gleichfalls gefristeten Bergbaues Dirstentritt der Gewerkschaft Silberleiten verwendet. Derselbe liegt am Südwestabhange des Wanneck, östlich von Nassereith und ist von hier in einer Stunde erreichbar. Etwa 150 m über der Thalsohle und der dort vorbeiführenden Strasse nach Obsteig liegt der tiefste Einbau Annastollen, der wegen des gegenwärtig sehr starken Wasserausflußes nicht befahrbar war. Um 190 m höher liegt der Mariahilfstollen und 95 m darüber bereits die Fundgrube. Es wurde der Mariahilfstollen befahren und in 720 m [der Annastollen hat ca. 700 m zum Erzkörper] die freistehenden Zechen desselben erreicht, die von der Fundgrube bis zum Annastollen niedergehen. Nachdem gewaltigen Dimensionen derselben scheint das Erzvorkommen ein außerordentlich mächtiges gewesen zu sein und Ähnlichkeit mit jenem von St. Veit beseßen zu haben, da auch hier an den Ulmen noch Zinkerze anstehend gefunden wurden, welche die Umrindung eines Bleierzkörpers gebildet haben dürften und wenigstens theilweise von den Alten zurückgelassen worden waren. Nach den Zechern zu urtheilen, war das Vorkommen ein schlauchartiges von der Fundgrube bis unter den Annastollen, in dessen Gesenken noch Erze anstehen sollen. Solche Erzschläuche bzw. nebeneinander fast senkrecht niedergehende Zechen finden sich mehrere parallele. Der befahrene Stollen befand sich im guten Stande und wurde die Wegräumung einiger kleinerer Ulmbrüche gelegentlich der Befahrung vom Bergverwalter Häusing sofort angeordnet. Die Zukunft dieses Bergbaues liegt in dem Betriebe eines Unterbaues von der Straße nach Obsteig aus, der eine Länge von 12—1400 m erreichen müßte. Mit Rücksicht auf die Aufschlußarbeiten bzw. Schurfarbeiten, welche die Gewerkschaft Silberleiten am Schroffen betreibt und die bedeutende alljährliche Zubußen erfordert, ist die Anlage des Unterbaues noch verschoben, bis sich die Verhältnisse in Silberleiten geklärt bzw. günstiger gestellt haben werden. Der 10.10. endlich wurde zur Heimreise nach Hall benützt.
Hall am 13. Oktober 1896
Wenger
k.k. Bergcommisär
Archiv Berghauptmannschaft Innsbruck Z.1364/1896, Transkription Armin Hanneberg 2004, Überschriften zur leichteren Lesbarkeit eingefügt 26. April 2007